Vom Sozialistischen Realismus zur Industrialisierung des Bauwesens
Bis Mitte der dreissiger Jahre konkurrenzierten sich in Ungarn moderne und historisierende Architektur. Mit dem Wiederaufbau nach dem 2. Weltkrieg setzte sich zwar die moderne Architektur durch, wurde aber ab 1951 von der offiziellen Kulturpolitik und dem Ungarischen Architektenverband bereits wieder verurteilt (1). Auf dem Landeskongress des Ungarischen Architektenverbandes 1951 wurden Richtlinien für eine neue Baukunst, dem sozialistischen Realismus (Sozreal), ausgearbeitet. Der Grundsatz lautete: Die Architektur muss in ihrem Inhalt sozialistisch und in ihrer Form national sein. Nur so glaubte man der neuen Bedeutung der arbeitenden Klasse in ihren jeweiligen Ländern einen adäquaten architektonischen Ausdruck geben zu können. Die Praxis konnte die in dieser Forderung enthaltenen Widersprüche nicht lösen. In der gebauten Realität wiesen die nach dieser Maxime erstellten Gebäude vor allem klassizistische Stilmerkmale auf.
Mit dem Tod Stalins und Chruschtschows Amtsantritt wurde auch der sozialistische Realismus begraben. Die traditionelle Bauweise war für die Anforderungen an die Bauwirtschaft ungeeignet:
"Wie soll ein Gebäude heute aussehen? In erster Linie muss es seinem Zweck und seiner Bestimmung entsprechen, das heisst, der Funktion, der es eigentlich seine Entstehung verdankt. Es soll konstruktiv sein und die Möglichkeiten rationell nutzen, die sich ständig entwickelnde Bauindustrie des 20. Jahrhunderts dem Architekten bietet. Das Material soll dem vorgegebenen Zweck entsprechen. Hierin vor allem drückt sich die viel zitierte Rentabilität aus. Ausserdem muss die Architektur von heute Zweck und ihre Bestimmung erkennen lassen." Jenö Szendröi an der Jahresversammlung des Architektenverbandes 1961
Nach dem 2. Weltkrieg baute Ungarn seine Industrien aus. Neue Industrieanlagen in ländlichen Gebieten verlangten nach der Gründung neuer Städte. Kriegsschäden mussten behoben und der Bedarf von einer Million Wohnungen gedeckt werden. Die Bauindustrie war auf diese Aufgaben nicht genügend vorbereitet. Der Mangel an Material und Fachkräfte hatte noch bis in die 70er Jahre minderwertige Ausführungsqualität zur Folge. Entsprechend schlecht war und ist auch der Ruf der Architektur aus jener Zeit.
1948 wurden in Vorbereitung des ersten 5-Jahres-Planes staatliche Projektierungsbüros geschaffen. In diesen Projektierungsbüros arbeiteten Fachleute verschiedener für den Bauprozess wichtiger Gebiete. UVATERV zum Beispiel beschäftigte Ende der 80er Jahre ca. 800 Personen (Architekten und Zeichner, Ingenieurinnen, Juristen, Kostenplaner). Jedes Büro spezialisierte sich in einer Bauaufgabe: LAKOTERV hatte seinen Schwerpunkt im Wohnungsbau, UVATERV bei den Bauten für Kommunikation und Verkehr. Bei einzelnen Projekten arbeiteten die Planungsbüros zusammen oder konkurrenzierten sich. Die Projektierungsbüros wurden durch lokale Zweigstellen ergänzt.
1. "….die modernistische Architektur ist wahrscheinlich die einzige feindliche kulturelle Strömung, die sich gegenwärtig in Ungarn noch offen behaupten kann…." Jòzsef Révai, zit. in "Neue Architektur in Ungarn", Budapest S.6
26. Februar 2007